Ein fröhliches Shalom (שלום) aus Israel!
Mein Name ist Franziska, ich bin 19 Jahre alt und lebe seit August in der Stadt Kiryat Tivon, einer Partnerstadt von Braunschweig. Kiryat Tivon heißt übersetzt „Park in den Hügeln“ und liegt in Galiläa im Norden Israels, in der Nähe der Hafenstadt Haifa
Tivon ist eine kleine, grüne und anthroposophische Stadt mit 14.000 Einwohnern, wovon sehr viele im künstlerischen Bereich tätig sind. Es gibt eine sehr große deutsche Community in Tivon, darunter auch meine Gastfamilie, mit der ich ungefähr alle zwei Wochen etwas unternehme.
Ich lebe und arbeite mit 11 anderen deutschen Freiwilligen zusammen in Tivon. Außerdem leisten noch acht Shinshinim, also israelische Freiwillige, ihren Freiwilligendienst vor ihrem Dienst in der Armee ab. Die Armee spielt eine große und wichtige Rolle, hier gilt noch die Wehrpflicht für Männer und auch Frauen. Ich werde mich wahrscheinlich nie wirklich daran gewöhnen, ständig junge Leute, die kaum älter sind als ich, in Armee-Kleidung und manchmal auch mit Maschinengewehren im Bus oder im Zug zu sehen. Für mich ist es ein sehr komischer Gedanke, dass meine israelischen Freunde nächstes Jahr genauso aussehen werden. Jeden Tag fliegen Düsenjets lautstark über Tivon zu einem naheliegenden Stützpunkt der Armee.
Meine Arbeitsstelle heißt Kfar Tikva, Dorf der Hoffnung auf Hebräisch, und ist eine kibbutz-artige Einrichtung für Menschen mit Behinderung. Sie wurde im Jahr 1963 von israelischen Familien mit behinderten Kindern und deutschen Volontären aufgebaut. Im Kfar leben insgesamt 220 Menschen mit verschiedensten Behinderungen von Autismus über Parkinson bis hin zu psychischen Problemen. Jeder Mensch, der hier lebt, wird als Chaver bezeichnet, was u.a. „Freund“ bedeutet. Schon dies zeigt, dass die Mitarbeiter hier ein besonderes Verhältnis zu den Bewohnern haben, es ist sehr freundlich und herzlich. Hierarchie ist natürlich vorhanden, doch dies soll nicht immer im Vordergrund stehen.
Die Bewohner haben einen strukturierten und ereignisreichen Tagesablauf. Es geht darum, ihnen ein schönes und glückliches Leben zu ermöglichen und ihnen trotzdem Entscheidungsfreiheit zu lassen. Von 8 bis um 12 Uhr arbeiten sie in einem Workshop. Davon gibt es ungefähr 8, darunter die Holzwerkstatt, eine Tierfarm, den Garten, eine Keramikwerkstatt, ein Weingut und Workshops für Leute, die eine zu starke Behinderung haben oder zu alt sind, um in den anderen Werkstätten zu arbeiten. Dort malen sie und fädeln z.B. Perlen oder Fäden auf, was für viele Leute sehr anspruchsvoll ist. Ungefähr 50 Bewohner wohnen und arbeiten in Tivon, z.B. in einem Restaurant oder in einem Supermarkt. Diese Arbeit außerhalb des Kfars ist natürlich für die Chaverim (Freunde) besonders wichtig, da so ihre Selbstständigkeit gefördert wird, aber auch für die Stadt. So werden Leute mit speziellen Bedürfnissen, doch auch oft besonderen Fähigkeiten, in das allgemeine Leben integriert. Außerdem ist wichtig, dass kein chaver etwas für seinen Aufenthalt in Kfar Tikva bezahlen muss, alles wird vom Staat oder durch Unterstützer besonders in den USA und in England finanziert.
Ich arbeite mit 13 chaverim in der Bäckerei, ein lauter, fröhlicher und eigentlich immer hektischer Ort. Dort werden jeden Tag entweder Kekse, Cracker, Kuchen oder Brote gebacken, hauptsächlich fürs Kfar, aber auch für Menschen außerhalb. Die Arbeit ist unglaublich erfüllend, sehr stressig, aber die Menschen hier sind meistens so herzlich und fröhlich, dass ich am Ende des Vormittags mit einem Lächeln in den Essenssaal gehe. Ich lerne jeden Tag dazu, nicht nur neue hebräische Wörter, sondern auch neue Rezepte, da die hebräische Schrift anders ist und ich somit etwas gebraucht habe, um lesen zu können. Für mich war dies am Anfang wirklich eine Herausforderung, da zwar viele chaverim Englisch oder Deutsch verstehen und sprechen können, aber auch viele nicht und es deswegen immer wieder ein Abenteuer ist, ihnen mitzuteilen, was ihre Aufgabe ist. Auch die Workshopleiterin spricht nur gebrochen Englisch, doch so lerne ich schnell und kann mich jetzt eigentlich einwandfrei verständigen. Außerdem arbeitet noch eine israelische Freiwillige mit mir zusammen in der Bäckerei und wir drei zusammen sind ein richtiges Power-Team geworden.
Die Freiwilligen werden fantastisch aufgenommen und jeder freut sich, dass junge Menschen neue und frische Ideen ins Kfar bringen. Da seit 1963 deutsche Freiwillige beim Leben im Kfar helfen, weiß ich, dass wir wirklich gebraucht werden und dass ich hier einen Platz habe, an dem ich erwünscht bin.
Nach dem Mittagessen im Speisesaal geht es am Nachmittag weiter zu den pnai-(Freizeit-)Aktivitäten. Davon gibt es ungefähr 30 Stück und die chaverim können sich aussuchen, an welchen sie teilnehmen möchten. Die Aktivitäten reichen vom einfachen Spazierengehen und Fahrradfahren über Bowling und Tanzen bis zu Malen, Chor und Musikhören. Es soll nicht einfach um Beschäftigungstherapie gehen, sondern darum, die Talente zu fördern und die Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen. Zusammen mit einem israelischen Mädchen biete ich Tanzen an, dort üben wir für Feiertage Tänze ein oder spielen z.B. Stop-Tanz. Es ist wirklich toll und herzerwärmend, mit den Bewohnern zu tanzen und zu sehen, wie viel Spaß sie trotz ihrer Beeinträchtigungen dabei haben und wie sehr sie aus sich herauskommen können.
Die Arbeit nimmt den Großteil meines Lebens hier ein, doch es fühlt sich für mich nie wirklich so an, als wäre es Arbeit, dafür macht es mir einfach zu viel Spaß. Ich kann mich kreativ ausleben, habe Verantwortung und Entscheidungsfreiheit und jede freut sich über neue Projekte und Ideen. Doch da Israel so klein und der Nah- und Fernverkehr sehr gut ist, befinde ich mich am Wochenende eigentlich nie in unserer kleinen, aber feinen Volontärs-WG, die ich mit zwei anderen Mädels bewohne. Oft war ich schon im unglaublichen Jerusalem und bin von dort aus weiter nach Palästina gefahren, habe es tatsächlich geschafft, ohne Reisepass von dort wieder über die Grenze nach Hause zu kommen, habe in der Negev-Wüste unter freiem Sternenhimmel geschlafen, war zu Besuch in einem traditionellen Kibbutz im Norden Israels und bin über die vielfältigen Märkte in Tel Aviv geschlendert.Ständig verschlägt es mich an neue Orte, die unterschiedlicher nicht sein können, von den arabischen Drusendörfern hoch oben im Carmel-Gebirge bis hin zu ultraorthodoxen Vierteln in Jerusalem oder Flüchtlingslagern in Palästina.
Ich könnte noch so unglaublich viel mehr berichten, doch ein Thema liegt mir wirklich noch am Herzen: Die Grenze. Oft werde ich gefragt, wie sehr ich den Konflikt spüre, ob er meinen Alltag stark beeinflusst und was die Menschen um mich herum davon halten. Die ganze Sache wird für mich einfach nur immer komplexer und je länger ich hier bin und je mehr ich vom Land sehe, desto deutlicher wird, dass es für diese Situation nicht einfach ein Lösungs-Heft geben kann. Von verschiedensten Seiten drücken Menschen der Sache irgendwelche Stempel auf und da kann man nicht mal so kurz Stellung zu nehmen. An sich ist Israel ein sehr patriotischer Staat, überall hängen die blau-weißen Flaggen und oft hört man nur den Namen „Heiliges Land“. Es gibt Menschen, die mir gerne ihre Meinung zu israelisch-palästinensischen Beziehungen darstellen, und es gibt andere, die mit sorgenvollen Gesichtern sagen, dass sie darüber eigentlich nicht reden wollen. Die ganze Sache hat ihre Wurzeln in Angst, Unwissen und Vorurteilen. Der Konflikt ist etwas alltägliches, hier im Norden bekomme ich davon nicht wirklich etwas mit, bin ich jedoch in Jerusalem oder Palästina bekomme ich die Realität mit voller Wucht zu spüren. Ich habe auf jeden Fall gelernt, mit Vorsicht damit umzugehen.
Generell kann ich nur sagen, dass es mir wirklich super geht, ich hier unglaublich glücklich bin und noch so viel mehr zu erzählen hätte, doch das Ganze einfach sonst zu lang wäre! Meine Arbeit macht mir Spaß, obwohl sie mich auch sehr fordert, ich bin ständig unterwegs, egal ob am Wochenende oder an Arbeitstagen und ich freue mich auf die restlichen Monate, die mir noch bleiben.
Toda raba (Vielen Dank) fürs Lesen und שלום
von Franziska de Vries