Jakobsweg – Sommerfahrt 2013

Als neugeborener Stipendiat oder Stiftling, wie ich es lieber sage, ist die erste Sommerfahrt ja etwas ganz besonderes. Besonders dann, wenn man von Harald Post bekommt und erfährt, dass man in Spanien zwei Wochen auf dem Jakobsweg pilgern soll. Ziel: Eine der Pilgerstätten für Christen überhaupt – Santiago de Compostela. Aufregender kann es eigentlich gar nicht mehr werden.


Nach einem untypisch chaotischen und mehr als informativen Vorbereitungstreffen in der Weltstadt Timmerlah, bei dem sich Harald als Haraldo vorstellte, musste erstmal gründlich eingekauft werden. Was braucht man denn so zum Pilgern? Durch meine unglaublich große Wandererfahrung – ich hatte keine – konnte ich diese Frage natürlich ohne Probleme beantworten und hatte selbstverständlich fast rechtzeitig alle Utensilien zusammen: Wanderrucksack, -schuhe und -socken, Regencape, jede Menge Pflaster und Salben, Vitaminriegel, einen unglaublich attraktiven Sonnenhut und noch viel mehr.

Herberge28. Juni 2013, es ist 5:41 Uhr. Angehende Pilgerinnen und Pilger stehen wartend in der Braunschweiger Bahnhofshalle. Da flitzt Haraldo heran, voller Vorfreude auf das kommende Abenteuer. Schnell wird sich verabschiedet, das Testament wird den Eltern überreicht, niemand weiß, wie das hier enden soll. Dann geht´s endlich los! Von Braunschweig fahren wir nach Frankfurt, um von dort nach Madrid zu fliegen. Um 16:04 Uhr besteigen wir das kleinste Flugzeug überhaupt, die Reise geht weiter nach Pamplona, wo uns eine Hitzewand der späten Nachmittagssonne erwartet. Nach einer kurzen Busfahrt und einer längeren Suche nach unserer heutigen Bleibe sind wir endlich in der Pilgerherberge in der Stadt Estella angekommen. Das Gefühl, zu viel in meinem blauen Wanderrucksack mitgenommen zu haben, lässt mich erstmal nicht los.

Wanderer2Der erste Wandertag, unser Etappenziel liegt 22 km weit entfernt und heißt Los Arcos. Gemeinsam geht es früh morgens los, vorbei an den ersten Jakobsmuscheln, die uns den Weg zeigen. Als wir raus aus der Stadt kommen, erwartet uns eine atemberaubende, leicht hügelige Landschaft, das saftige Grün der Wiesen passt perfekt zum strahlend blauen Himmel. Plötzlich kommt der Tross zum Stehen, Haraldo hat eine Weinquelle entdeckt! Die einen trinken fröhlich einen Becher nach dem anderen, der Rest macht Fotos – noch wird gelächelt… Wir laufen Berge rauf und Berge runter, kommen durch wunderschöne spanische Dörfer und die Sonne lacht unerbittlich auf uns herab. Dann kommen wir endlich an. Wir schleppen uns durch das Dorf, über den Marktplatz bis zur Herberge. Haraldo ist natürlich schon da, er wird auch die nächsten Tage fast immer zuerst da sein und nie ein Zeichen von Anstrengung zeigen. Obwohl er immer als letzter losgeht, sehe ich ihn komischerweise nie an mir vorbeiziehen, es ist und bleibt mir ein Rätsel. In dieser Nacht war es mir relativ egal, dass neben mir in den Betten fast nur Männer schliefen und schnarchten. Schlaf war das, was wir jetzt brauchten!

Jeden Tag hatten wir ein Tagesthema, das am vorherigen Tag bestimmt wurde. Es waren Themen wie „Was treibt euch an?“ oder „Wie stellt ihr euch eure Zukunft vor?“. Wie in der Stiftung üblich, hätten wir alle am Ende der Reise einen Preis fürs Philosophieren und Diskutieren bekommen müssen.

Harald_liestDas sanfte Rascheln der anderen Pilger weckt mich und mir fällt wieder ein, dass heute ganze 30 km vor uns liegen. Wir gehen in Kleingruppen los, natürlich gleich bergauf, wie sollte es auch anders sein? Wir machen Pausen in den Dörfern, durch die wir kommen und uns den einzigen Schatten auf dem Weg bieten. Wir bekommen Pilgerstempel für unseren Pilgerausweis in allen Kirchen und in vielen Bars und Restaurants. Die Einheimischen dort leben von den Pilgern, denn ihnen ist es nach einer anstrengenden Wanderung meist egal, wie viel sie z.B. für eine Flasche Wasser bezahlen müssen. Angekommen in Logroño und voller Vorfreude auf die Herberge mit Pool stellt sich heraus, dass schon alle Betten belegt sind – das war ja klar. Fast verlässt uns das letzte Fünkchen Hoffnung, da finden wir ein Hotel, das auch Räume für Pilger zur Verfügung stellt. Vollkommen überhitzt strecke ich mich erstmal auf dem luxuriös-kühlen Steinboden aus. Und obwohl wir alle so erschöpft sind, macht uns das Pilgern langsam aber sicher Freude.Wanderer

Am nächsten Morgen geht es weiter. Nach 26 km erreichen wir kriechend unser Tagesziel, die Stadt Nájera. Überall auf dem Weg sehen wir Pilgerdenkmale, die oft aus aufeinandergestapelten Steinen oder Wanderschuhen bestehen. Ironischerweise wird auf dem Weg auch für Massagen und Taxiunternehmen geworben. Natürlich ist die Albergue bei unserem Schneckentempo wieder voll, aber nach längerem Suchen und so manchen Spanischkenntnissen finden wir einen Schlafplatz. Das ist Survival-Training!

IMG_3818Ich muss leider sagen…wir haben ein bisschen geschummelt. Die nächste Etappe würden wir teilweise mit Bus und Bahn zurücklegen. Wir fahren zuerst mit dem Zug nach Léon und am nächsten Tag weiter nach Virgen Del Camino. Die meisten von uns entscheiden sich dazu, von dort aus noch weitere 10 km mit dem Bus zu fahren. Wer möchte auch schon ganze 50 km laufen? Selbstverständlich sind diejenigen, die sich das zutrauen, auch noch vor uns in der Albuerge in Astorga. Auf diesem Weg sehen wir mehr Pilgerzeichen, Santiago-Schilder und Buen Caminos als sonst und treffen auch mehr Pilger, die uns ihre Geschichten erzählen. Manche davon haben kein Ziel, andere wissen genau, wo sie hinwollen. Doch wir alle haben etwas gemeinsam: Wir haben unser Konsumleben hinter uns gelassen und alles, was wir haben, tragen wir auf dem Rücken. Wir haben uns zwar an den schweren Rucksack gewöhnt, doch ich brauche eigentlich 60 Prozent meines Rucksackinhaltes nicht…

Zieleinlauf

An diesem Nachmittag kommen wir auf eine kleine Anhöhe, auf dem „La Casa“, ein kleiner Stand für Pilger, steht. Ein Mann stellt jeden T ag frisches Wasser und Obst, Milch, Saft und Kekse für die Pilger bereit. Außerdem gibt es schattige Plätze zum Ausruhen – natürlich sind die alle belegt, aber heute finde ich das nicht schlimm. Alles ist bunt bemalt und beschrieben. Ich frage den Mann, warum er das denn täte und er antwortet wie aus der Pistole geschossen und als wäre es die normalste Sache der Welt, dass alles von Gott gemacht sei. Niemals war Wasser wohltuender, niemals schmeckte mir das Obst leckerer!

Landschaft1Die weiteren Tage führen uns nach Rabanal, einem kleinen, sehr niedlichen und schattigen (!) Dorf auf einem Berg, weiter nach Ponferrada vorbei am berühmten Cruz de Ferro, wo Pilger Steine mit z.B. Sprüchen hinterlassen, von dort nach Villafranca, wo wir das erste Mal wieder so eine richtig ausgiebige Abkühlung in einem Fluss genießen können und dann nach La Faba, einer deutschen Herberge. Von dort aus gibt es einen Rucksack-Shuttle (den gibt es aber auch nur, weil wir so viele Verletzte haben), was die Sache natürlich so erheblich erleichtert, dass wir die 34 km nach Samos im Eiltempo zurücklegen und FAST gleichzeitig mit Haraldo bei der Herberge ankommen. Das ist Rekord! Da wir nun schneller als sonst unser Ziel erreicht haben, bleibt uns Zeit für ein ausführliches Essen und wir lassen es uns nicht nehmen, den Ort ein bisschen zu erkunden.

KathedraleEigentlich soll man als Pilger nach Santiago reinpilgern. Natürlich hat Haraldo andere Pläne und wir fahren mit dem Pilgerbus. Ein bisschen laufen wir trotzdem, und zwar zu unserem Hotel, das mitten in der Innenstadt in der Nähe der Kathedrale liegt. Von unserem Zimmer im obersten Stock haben wir einen durchaus famosen Blick über Santiago und als wir endlich den Vorplatz der riesigen Kathedrale betreten, fallen uns unsere Pilgersorgen vom Herzen. Nicht nur wir sind mehr als erleichtert, Haraldo ist entzückt wie nie und auch die anderen Pilger jubeln lautstark und freuen sich mit uns. Nun muss die Kathedrale erstmal von innen bestaunt werden und sie raubt uns für einen kurzen Moment den Atem. Doch auch das Konsumleben muss erstmal wieder so richtig ausgekostet werden. Wir stürmen das erstbeste Restaurant und gönnen uns typisch spanische Köstlichkeiten: Döner und Pizza satt. Danach fallen wir über die touristischen Attraktionen her und kaufen uns allerlei Souvenirs, darunter T-Shirts, die beweisen, dass wir es wirklich bis nach Santiago geschafft haben. Nach zwei Tagen voller Erlebnisse haben wir gemütliche Abende im Park hinter uns, haben eine Messe in der Kathedrale erlebt und ergatterten uns mühsam und nach langem Warten eine Pilgerurkunde. Auch das stiftungstypische Abschlussessen war mehr als amüsant und die spanischen Nächte sind lang…

Nach 233 zurückgelegten Kilometern geht es zurück in den Alltag nach Deutschland. Obwohl Ferien sind, hat niemand so richtig Lust, Spanien jetzt schon zu verlassen. Haraldo ist gelassen wie sonst auch und verbreitet gute Stimmung. Obwohl wir während des Pilgerns nicht so richtig die Möglichkeit hatten, die Gruppe kennenzulernen, halten wir den Jakobsweg doch in guter Erinnerung und werden immer mit großem Stolz auf dieses Abenteuer zurückblicken.

von Franziska de Vries